Teil II über das Berliner Reichstagsgebäude geht heute weiter.
Erinnerst du dich? Erst 1915 kam der Schriftzug Dem deutschen Volke über das Westportal des Reichstagsgebäude. Und der Kaiser war nicht wirklich darüber begeistert. Aber besser der Spruch, als grimmige Untertanen. Das Gebäude war ja nun doch etwas zu „klein“ geraten. Inzwischen war die Anzahl der Abgeordneten auf 600 Personen angestiegen. Ein Architektenwettbewerb wurde ausgerufen und viele namhafte Architekten reichten ihre Entwürfe ein. Doch der Staatssäckel war leer. Und so wurde einzig die Siegessäule 1938/39, die auf dem Platz vor dem Reichstag stand, in die Mitte des Tiergartens „verschoben“

Von Autor unbekannt – Diese Datei ist im Bestand der National Archives and Records Administration verfügbar, katalogisiert unter dem National Archives Identifier (NAID) 535790
Teil II und ein Brand
Doch bevor die Siegessäule verschoben wurde, brannte der Reichstag! In der Nacht von 27./28 Februar 1933. Angeblich hat Marinus van der Lubbe ganz allein das Feuer gelegt. Schon damals gab es viele Stimmen, die behaupteten, dass van der Lubbe diesen Brand nicht alleine gelegt haben könne. Die Gerichte waren schnell, verurteilten den Mann innerhalb von 3 Wochen zum Tode.
Was aber mindestens genauso schnell ging, war die Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat (Reichstagsbrandverordnung), die am 28.2.1933 erlassen wurde. Damit waren die Grundrechte der Weimarer Republik außer Kraft gesetzt (Freiheit der Person, die Meinungs- und Pressefreiheit sowie die Vereins- und Versammlungsfreiheit, das Postgeheimnis, das Eigentumsrecht wurde eingeschränkt und regimekritische Zeitungen verboten) und die NSDAP konnte politische Gegner legal verfolgen und inhaftieren lassen.
Trotz allem, der Plenarsaal und die Kuppel des Reichstages waren hinüber. So konnte Hitler auch nie eine Rede im Reichstag halten. Die hielt er in der hergerichteten Krolloper. Die Hallen des Reichstages verkamen zu Ausstellungsräumen für Propagandazwecke. Auch konnte man hier einen Blick auf Welthauptstadt-Germania werfen, die sich Walter Speer und Hitler ausgedacht hatten.
Dem deutschen Volke, hatte man sich wohl anders vorgestellt
Im zweiten Weltkrieg vermauerte man die Fenster und suchte hier vor den Fliegerbomben Schutz. Die AEG produzierte in dem Gebäude Elektroröhren. Hier wurden Verwundete wieder zusammengeflickt, ein Lazarett entstand. Die nahegelegene Charité zog mit ihrer Gynäkologie in diverse Räume ein und etwa 60-100 Kinder kamen im Reichstag auf die Welt.
Und dann kam der Ende des Krieges. Während noch um die restliche Stadt gestritten und gekämpft wurde, pflanzte die Rote Armee ihre Fahne über dem Westportal des Reichtages und später auf dem Dach auf. Das Ende des zweiten Weltkrieges in Europa, das Ende von Hitler-Deutschland…

Von Mil.ru, CC-BY 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=80632310 (Dieses Foto wurde übrigens am 2.Mai 1945 nachgestellt)
Die zerstörte Stadt
Der Reichstag war nur noch eine Ruine. Dem Deutschen Volke, verstanden die Berliner sehr wohl anzunehmen. Sie nutzten den großen Platz vor dem Haus, um Gemüse und Kartoffeln anzubauen. Die zerstörte Kuppel wurde 1954 gesprengt. Angeblich um den Rest des Gebäudes zu entlasten. Bis heute ist es fraglich, ob die Sprengung wirklich nötig war. 1955 beschloss man dann den Reichstag wieder herzurichten.
1961 gewann Paul Baumgart den Wettbewerb um den Auftrag für Planung und Leitung des Wiederaufbaus. Erst 1973 wurde das Gebäude fertig gestellt. Es gab keine neue Kuppel! Die Türme an den Seiten wurden in der Höhe reduziert, die teilweise noch erhaltenen Schmuckelemente wurden abgetragen oder hinter neugezogenen Wänden versteckt. Es wurden Zwischendecken eingezogen und alle Abgeordneten eines vereinigten Deutschland, hätten darin Platz gefunden. Nur man durfte in Berlin nicht mehr tagen.
Baumgart folgte dem Geist der Zeit. Damals legte man keinen Wert mehr auf schwülstige Protzerei. Glatte Wände wollte man. Außerdem trug das Gebäude eine Art Schandmal mit sich. Erst eine vordemokratische Staatsform, dann eine schwache Demokratie und später eine gnadenlose Diktatur. All das versteckte man lieber hinter glatten Wänden.
Der Reichstag an der Berliner Mauer
Als die Mauer 1961 quer durch Berlin gezogen wurde, stand der Reichstag unmittelbar an der Grenze der DDR. Was sollte man mit diesem Gebäude machen. Berlinbesucher fuhren gerne dort hin, um einen Blick über die Mauer zu werfen. 1971 eröffnete im Erdgeschoss des Reichstages eine Ausstellung: „Fragen an die Deutsche Geschichte“ . Als Oberschülerin habe ich diese Ausstellung selber besucht.
Am 30. August 1980 trafen sich 250.000 Berliner und zugereiste Westdeutsche auf der riesigen Wiese vor dem Reichstag, um einem kostenlosen Konzert von Barcley James Harvest zuzuhören. Auch hinter der Mauer, im Ostteil der Stadt hatte man von dem Konzert gehört. Doch wurden die Musikliebhaber dort vertrieben oder sogar festgenommen.
Bei diesem Konzert sollte es aber nicht bleiben. Die Musiker fanden es spannend vor der Mauer und dem Reichstag zu spielen. So konnten sie auch den Ostberlinern die Möglichkeit geben, ihre Musik live zu genießen. Allerdings fand das die Regierung der DDR nicht unbedingt gut. Sie versuchten alles um die Musikbegeisterten fern zu halten.
Concert for Berlin
1987 trafen sich an aufeinanderfolgenden Tagen verschieden Rockgrößen vor dem Reichstag. Kostenlos! Die Westdeutschen strömten in die Stadt und auch wollten wieder die Ostdeutschen daran teilhaben.

https://www.songkick.com/festivals/98076-concert-for-berlin/id/5679011-concert-for-berlin-1987
Der Radiosender RIAS übertrug das Konzert, so dass auch die Bürger auf der Ostseite etwas davon hatten. Allerdings durfte man das in der DDR nicht laut sagen. Einige 100 Bürger sind zum Brandenburger Tor gekommen und skandierten: „Die Mauer muss weg!“ Die Auseinandersetzung mit der Volkspolizei war vorprogrammiert.
Juni 1988 spielten dann Pink Floyd vor dem Reichstag. Die DDR Regierung bat die Westberliner darum, nicht mehr vor dem Reichstag oder in Mauernähe Konzerte zuzulassen. Die Begründung war, durch die wummernden Bässe könnten schwerstkranke in der Charité zu Tode kommen. Pink Floyd trat auf, unter der Bedingung nicht ganz so laut aufzudrehen! Beim Soundcheck aber, richtete Pink Floyd die Lautsprecher in Richtung Osten, drehten die Anlage auf und spielten „Another Brick In The Wall“.
Drei Tage später, der King of Pop
Drei Tage später stand dann der King of Pop: Michael Jackson auf dem Platz der Republik vor dem Reichstag. Die SED-Regierung war gar nicht amüsiert. Sie versuchten die Musikfans auf ihrer Seite der Mauer von dem Geschehen fern zu halten, indem sie die Nachricht verbreiten ließen, sie würden das Konzert auf Groß-Leinwand im Ost-Berliner Stadion übertragen. Das hielt die meisten aber nicht davon ab, doch zur Mauer zu ziehen und dem King zu lauschen. Laut genug war es ja.
Bis zu 50.000 Fans versammelten sich schon vor dem Reichstag, da wurde es dem Veranstalter zu mulmig und sie ließen die Zuschauer ohne Kontrolle das Gebiet betreten. Schon bevor Michel Jackson auch nur eine Note gesungen hatte, wurden schon völlig erschöpfte Fans vor der Bühne herausgetragen. Als das Konzert dann losging, hatten die Zuhörer hinten kaum eine Chance ein gutes Konzert zu genießen.
Jahre später wurde der Reichstag zu einem Kunstobjekt. Ab dem 24. Juni 1995 wurde der Reichstag mit einem glänzenden Stoff von dem Künstlerpaar Christo und Jeanne-Claude verhüllt. Einen Monat lang pilgerten viele Menschen zum verhüllten Reichstag.
Inzwischen war die Mauer „entfernt“. Der Reichstag wurde ein weiteres Mal umgebaut und erhielt eine gläserne Kuppel, die man besuchen kann. Dazu muss man sich im Besucherzentrum anmelden und die Schlangen sind häufig sehr lang. Die erste Plenarsitzung fand 1999 im modernisierten Reichstag statt.
Mein 12tel Blick vom Juni
Ich dachte nicht, dass ich so viel über den Reichstag herausfinden würde. Nun ist mein Text so lang geworden, dass ich ihn in teilen musste. Ich hoffe, dir hat der kleine Ausflug in die Geschichte Spaß gemacht. Tatsächlich hatte ich selber einiges fast vergessen, erinnerte mich aber gerne an die Konzerte und den verhüllten Reichstag zurück. Natürlich gehörte ich unter die vielen Besucher! So etwas ließ man sich als Westberlinerin nicht entgehen…
Ich bin mit meinen Blicken ziemlich hinterher. Aber ich schreibe auch schon an dem siebten Blick… Das wird hoffentlich nicht so ein langer Post 😉
Diesen Post werde ich heute noch bei Eva’s 12tel Blick und mache mich schnell an den Blick für den Juli…
Es ist so spannend, lass dir ruhig Zeit!
Oh, so manches vergessen, so manches nicht gewusst. Viele Erinnerungen (die Konzerte, auch wenn ich nur sehnsüchtig davon träumte)
Den eingepackt in Reichstag könnte ich damals dagegen nicht so ganz verstehen, aber die Auseinandersetzung mit Kunst und Gebäude war ja vom Ehepaar Christo auch gewünscht. An so manchen Part diese Gebäudes möchte man sich eigentlich nicht erinnern und gerade deswegen ist es so wichtig!
Danke Dir für all Deine Recherchen
Liebe Grüße und bis zum Samstagsplausch
Nina
Total spannend, dein Berliner Blick auf die Geschichte. Die „Musik-Geschichten“ sind für mich ganz neu. Den eingepackten Reichstag fand ich total cool. Den hätte ich gern in Natura gesehen.
Ich bin sehr gespannt auf die Fortsetzungen! (Jetzt höre ich mir aber erst mal Barclay James Harvest an. Ich war nämlich auch Fan…)
Liebe Grüße
Andrea