In fast jedem Bezirk Berlins gibt es Krankenhäuser. Das liegt vielleicht daran, dass jeder Bezirk für sich eine kleine Stadt war, bevor sie eingemeindet wurde. Berlin wuchs einfach immer mehr in die Weite. So steht in Kreuzberg natürlich auch mehr als ein Krankenhaus.
Das wohl älteste Krankenhaus in Berlin ist die Charité. (Was übersetzt soviel heißt wie Nächstenliebe, Barmherzigkeit, Karitas). Sie wird 1709 von König Friedrich dem I. als Lazareth-Häuser außerhalb der Stadt gegründet, weil er befürchtete, dass die Große Pest aus Osteuropa auch Berlin erwischen könnte. Doch am Ende streift die Pest nur die Uckermark und verschonte Berlin. Die errichteten Lazarethhäuser standen somit als Armen- und Arbeitshaus (Spinnhaus) für Arme, Bettler, unehelich Schwangere und Prostituierte, sowie als Garnisonslazarett zur Verfügung.
Zurück nach Kreuzberg
In Kreuzberg entstand Mitte des 19. Jahrhunderts das Bethanien, weil die Charité längst nicht mehr mit den vielen Kranken der Stadt zurecht kam. Es war ein von Diakonissen geführtes Krankenhaus. Das Bethanien lag etwas außerhalb der Luisenstadt. Zusätzlich mit der Errichtung des Krankenhauses entstand eine Schule, ein Waisenhaus und ein Ort für weibliche, ehemalige Gefangene. Dem König Friedrich Wilhelm IV gefiel der Gedanke, dass es ein malerisches Gebilde, eingebettet in Grün, Inseln der Verheißung, sein könnte.
Im Bethanien wurden Krankenpflegerinnen ausgebildet, die in der angeschlossenen Krankenanstalt das Erlernte gleich mal ausprobieren konnten. 1847 wurde das Haus eröffnet und war damals eines der modernsten Krankenhäuser in Europa. Das Hauptaugenmerk lag auf Hygiene und (wie sollte es anders sein) Versorgungsleistung! Bei seiner Eröffnung stand das Bethanien inmitten von Roggenfeldern und Gärten.
In den Revolutionsjahren 1848/49 überlegten die Revolutionäre noch, ob sie das Bethanien stürmen. Dem Krankenhaus wurde nachgesagt, dass die Versorgung dort weniger auf ärztliche Tätigkeiten, als auf das Seelenheil der Patienten ausgerichtet war. Zu ihrem Unglück wurde auf die Demonstranten geschossen und so landeten sie direkt im Bethanien. Die Schwestern legten den Verletzten Reue nahe, statt sie zu versorgen. Kein Wunder, dass so viele Menschen in dieser Zeit starben.
Zur selben Zeit war im Bethanien Theodor Fontane Apotheker. Er konnte dem Geschehen, sozusagen auf der Wiese vor dem Krankenhaus, zuschauen.
Alles verändert sich
Im Laufe der Jahre wuchs das Krankenhaus. Es kam ein Leichenhaus, ein Wirtschaftshof, ein Feierabendhaus (Altenheim für die Diakonissen) und ein Schwesternwohnheim hinzu. Obwohl es für die Pflegenden etwas besser wurde, kam es (schon damals!) zu einem Personalmangel und Überlastung. Währenddessen wuchsen die Mietskasernen rund um das Bethanien. Der Polizeipräsident konnte nach Schinkels Tod darüber entscheiden, was städtebaulich geschehen durfte. So ordnete der Polizeipräsident den Bau der Mietskasernenstädte an. Es entstanden fünfgeschossiger Gebäude mit Seitenflügeln und Quergebäuden. Viele Räume, für viel zu viele Menschen.
1869 kam es zu einer Katastrophe. Durch schlecht gesäuberte Instrumente, starben 900 Menschen nach operativen Eingriffen. Wundbrand war damals tödlich. Ignaz Semmelweis hatte sich noch nicht durchgesetzt. Und dann wurden in den nächsten beiden Jahre auch noch die Diakonissen als Lazarettschwestern in den Deutsch-Französischen Krieg abgezogen. Auch der erste Weltkrieg forderte die Schwestern an die Front. Jahre später verweigerten sich die Diakonissen den Nationalsozialisten. Was die Gestapo allerdings nicht davon abhielt, einige Bauten zu beschlagnahmen und das Personal, (schon wieder einmal) an die Front zu schicken.
Nachdem die Berliner-Mauer (1961) errichtet war, liefen dem Krankenhaus die Patienten weg. 1966 war die Klinik zahlungsunfähig. Man dachte über Abriss nach. Doch das Bethanien blieb und wurde unter Denkmalschutz gestellt. 1971 besetzten Jugendliche einen Teil des Bethanien und nannte ihren Besitz in Georg-von-Rauch-Haus um. Heute wird die Anlage von Sozialen-, Künstlerischen Institutionen, Musikschule und Gastronomie (Tolle Bilder aus dem ehemaligen Speisesaal) genutzt.
Das Krankenhaus am Urban
1862 stiftete die Ottilie, Tochter des Opernsängers und Hofschauspielers Friedrich Jonas Beschort, 400.000 Mark, um ein Krankenhaus mitten in Kreuzberg zu bauen. Einzige Bedingung sollte sein, dass dort keine Menschen mit Syphilis behandelt werden dürfen. Ihr Geld war gut angelegt, denn als sie 1881 starb, konnten für den Bau 600.000 Mark (ein fünftel der Baukosten) ausgegeben werden.
Es war längst fällig, noch ein großes Krankenhaus zu bauen. 1887 war es dann auch soweit, es wurde mit dem Bau des III. Berliner Krankenhauses begonnen. Das Urban wurde nach Plänen des Architekten Hermann Blankenstein in offener Pavillonbauweise errichtet. Dieser Architekt war auch für viele Backsteinbauten in Berlin verantwortlich.
Am 10.6.1890 ist es dann soweit. Die erste Patientin, ein lungenleidendes Dienstmädchen, wurde aufgenommen. Als Personal standen 18 Viktoria-Schwestern, die aus dem Krankenhaus am Friedrichshain abgezogen wurden, zur Verfügung. Der Internist Albert Fraenkel und der Chirurg Werner Körte (der im Bethanien, s.o. ausgebildet wurde) werden als Ärztliche Direktoren angestellt. 600 Betten stehen der Bevölkerung zur Verfügung.
Jahrhundertwende
Drei Jahre nach der Entdeckung der Röntgenstrahlen, wurden sie auch im Urban angewendet. 1905 wurde das chemische Labor von Peter Rona und Leonor Michaelis gegründet. Das Urban scheint recht fortschrittlich, denn sie bilden auch Frauen zu Ärztinnen aus und versuchen diese dann auch einzustellen. 1908 übernimmt Alfred Döblin eine Stelle als Assistenzarzt. Doch 1911 muss er diese wieder aufgeben, weil die Ärzte, die im Krankenhaus wohnen, unverheiratet bleiben mussten (?) Während des ersten Weltkrieges melden sich viele Assistenzärzte freiwillig und Hausärzte müssen den Dienst in der Klinik übernehmen.
Das Urban hat sogar ab 1924 eine eigene Krankenpflegeschule. Immerhin forderte Rudolf Virchow schon seit 1869 eine berufsmäßige Ausbildung an jedem großen Krankenhaus. Gertrud Rüden ist die erste Leiterin.
Als die Nazis dann an die Macht kamen, wurden viele Ärzte und Pflegekräfte aus dem Haus geprügelt, bzw. abgeholt. 1933 übernimmt eine Ärztin eine Chefärztliche Leitung.
Eine dunkle Geschichte beginnt. In den OP-Sälen, werden Zwangssterilisationen und Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen, damit kein erbkranker Nachwuchs geboren wird! Im Innenhof des Krankenhausensembles wird ein Operationsbunker eingerichtet. Es wird gemunkelt, dass dort seltsame Experimente stattfanden. Die fallenden Bomben verschonen auch das Urban nicht. 30% werden durch Kriegshandlungen zerstört.
Nach dem zweiten Weltkrieg
Doch Krankenhäuser werden gebraucht. Also wird wieder aufgebaut und gepflegt. Die neue Rettungsstelle und ein Badehaus werden eingeweiht Ferdinand Sauerbruch wird eingeliefert und stirbt mit Demenz im Urban. Irgendwann, Ende der 1950er Jahre, stellt man fest, dass Haus ist nicht mehr ausreichend. Es muss etwas Neues her. Ein Neubau wird ersonnen und 1970 fertig gestellt. Mit 830 Betten ist das Urban-Krankenhaus eines der größten Häuser im Berliner Westen.
Inzwischen hat man den Altbau still gelegt und das Denkmalgeschütze Ensemble als Eigentumswohnungen verkauft. Ich kenne das Krankenhaus seitdem ich auf der Welt bin und es hat sich eine Menge verändert. Aber die Menschen, die dort ein- und ausgehen sind fast die selben geblieben. Kreuzberg verbindet bis heute, Kulturen und Klassenunterschiede. Arm und Reich machen in diesem Haus keinen Unterschied.
Das war mein 12tel Blick im Oktober, den ich gerne bei Eva verlinke. Wenn du mehr über diesen Blick lesen möchtest, dann schau hier.
Liebe Andrea, hab vielen Dank für die vielen Infos, die Du jeden Monat rund um den 12tel Blick zusammenträgst.
Alles Liebe Katrin
Liebe Andrea,
ich habe deinen Bericht über die beiden Krankenhäuser mit Interesse gelesen, besonders, da ich Anfang Oktober noch in Berlin war. Schade, dass ich es erst nach meiner Reise gelesen habe, sonst hätten wir es uns vielleicht angeschaut. Danke für deinen Bericht.
LG Agnes
von Helga:
Liebe Andrea,
da hast Du wieder mit viel Zeitaufwand uns Deine Lieblingsstadt Berlin, ganz nahe gebracht. Unglaublich wie die Zeiten sich verändert haben und stets weiter verändern. Auch wie schnell sich das Rad dreht, kein Wunder auch bei den Erfindungen von neuen Rädern mit und ohne Akku. Warum nicht auch beim Krankensystem. Es hält uns schließlich am Laufen hier, wer sollte uns allen helfen, heilen und gesund pflegen, wenn nicht Menschen, die gerne diesen Beruf ausüben und auch Arzt werden möchten.
Obwohl man in privatem Kreise den Krankengesprächen eher aus dem Weg geht. In der momentanen Situation sind allerdings alle Jahrgänge betroffen. Betroffen war ich gestern selbst, den es durften keine Angehörigen das Pflegeheim betreten. So konnte ich meinem Mann keine liebevolle Aufwartung machen.
Dein Bericht ist äußerst interessant, danke für dessen Erstattung, woher sollten wir dieses Wissen beziehen? Klar kann man sich selbst schlau machen, aber die Idee dazu muß erst geboren werden. Dazu lese ich gerne wissenswertes in den Blogs und schaue mir die Bilder an. Ich lese halt gerne und da ergibt es sich ganz von alleine.
Toll gemacht und ein Dankeschön von mir/uns, mit liebem Gruß dazu Helga/Kerstin
Spannend! Unsereiner kennt halt nur die Charité ( und jetzt noch zufälligerweise Vivantes, zu dem ja auch das Urban gehört )… immerhin sagen mir die Namen schon mal was, denn ich hab als Schülerin ne Schwesternhelferinnenausbildng gemacht und war in den Bonner Unikliniken eingesetzt. Aber der Effekt: Im medizinischen Bereich wollte ich nicht bleiben, zu viel Blut, Schweiß und Tränen.-
Schade, dass deine Kreuzberger Geschichten bald aufhören!
Gute Nacht!
Astrid
Der Herbst hat Gold in deine 12tel-Blicke gestreut. Danke für deinen spannenden Einblicke in die Berliner Geschichte. Zeitgeschichte spiegelt sich deutlich in dem Geschehen um die Krankenhäuser wider.
Liebe Grüße
Andrea
Oh. Wie interessant. Vielen Dank. Ein toller Einblick.
Ich mag immer Deine Geschichten rund um Deinen Fotostandort! Besonders hat mich die Gedenktafel berührt. Dankeschön und liebe Grüße, hab einen schönen Sonntag Abend
Nina