Letzten Monat, hatte ich in den 1980er Jahren und bei den Hausbesetzer aufgehört dir Geschichten aus Kreuzberg zu erzählen. Und genau da, mache ich jetzt weiter. Wie kam es dazu, dass die Hausbesetzer-Szene in Berlin so ein Potential hatte…
Schon 1945, kurz nach Kriegsende, war in Kreuzberg nur noch die Hälfte des bewohnbaren Raum vorhanden. Dazu kam, dass immer mehr Flüchtlinge nach Berlin strömten. Es entstanden Aufnahmelager, oft auch in ehemaligen Zwangsarbeiterlagern oder Fabriken. In der Fichtestraße in Kreuzberg steht eine Bunkeranlage, ein ehemaliger Gasometer, der 500 Flüchtlinge aufnehmen konnte. Allerdings war dieser oft überbelegt. Der Schwarzmarkt begann zu blühen, doch nicht jeder hatte etwas zu verkaufen. Irland, Südafrika, die Schweiz, schickten Decken, Socken, Schokolade und Seife. Dinge, die gebraucht wurden.
In den 1950er Jahren nahmen die Fluchten aus den sowjetisch besetzen Gebieten zu. 1953 kamen 500.000 Flüchtlinge nach Berlin und wurden meistens als politische Flüchtlinge anerkannt, wenn sie nachweisen konnten, dass sie „wegen einer Gefahr für Leib und Leben und die persönliche Freiheit und sonstige zwingende Gründe “ die DDR verlassen hatten.
Wohnraum fehlt
Durch die Blockade 1948-49 gab es ohnehin wenig Baumaterial. Kohle und Nahrung war wichtiger und wurde durch die Luftbrücke in das eingeschlossene Westberlin eingeflogen. Erst später, durch die „Marschall-Planhilfe“, kamen amerikanische Gelder nach Berlin. Die hohe Arbeitslosigkeit konnte gesenkt werden und die Wohnungslosigkeit minimiert. Einige entrümmerte Gelände in Kreuzberg wurden endlich bebaut. Es entstanden Pläne, eine autofreundliche Stadt zu entwickeln. Doch durch den Bau der Berliner Mauer 1962 wurden diese Pläne auf Eis gelegt. Stattdessen wurde der Wohnungsnot mit Kahlschlagsanierung entgegenwirkt. Historische Bauten sollten einfach niedergerissen werden. Die Menschen wünschten sich sonnige Balkone, Innentoiletten und Zentralheizungen.
Stadtrandgebiet Kreuzberg
Durch die Mauer wurde Kreuzberg zum Stadtrandgebiet gemacht. Die Eigentümer vieler Häuser sahen keinen Sinn darin, die gute Substanz der Häuser zu pflegen. Einige Grundstücke und Häuser standen sogar leer. Die Eigentümer spekulierten darauf, dass die Grundstücke im Wert stiegen. Wohnungsbaugesellschaften kauften diese dann auf, um Neubauten zu errichten. Viele junge Familien zogen in die neu entstehenden Neubausiedlungen (Gropiusstadt und das Märkisches Viertel), Alte Menschen blieben. Künstler, Studenten und Gastarbeiter zogen ein, weil die Mieten günstig waren, sie nur auf Zeit blieben. Es herrschte Wohnungsnot und die Eigentümer ließen hier alles verrotten.
1971 kam ein Gesetzt heraus, das verlangte, dass geplante Maßnahmen (Abriss und Neubau) mit den Mietern zu erörtern sei. Die Bewohner Kreuzbergs waren nicht von den erdachten Neubauten erfreut. Die alten gewachsenen Strukturen waren doch gut! Warum nicht erhalten? Proteste gegen den fertiggestellten Neubau am Kottbusser Tor legten die neuen Pläne erst einmal auf Eis.
In den Altbau-Wohnungen im Kreuzberger Kiez gab es meistens noch Ofenheizungen. Zugezogene Bundeswehrflüchtlinge (in Berlin musste man nicht zur Bundeswehr), Studenten, Ausländische Arbeiter (die eigentlich nur für 3 Jahre nach Deutschland kamen, Familien gründeten und dann doch blieben), alte Menschen, die ihre Wohnungen nicht verlassen wollten, bildeten wieder einmal ein buntes Bild von Kreuzberg. Die Wohnungen standen meistens offen, es wurde ein neues Lebensgefühl ausprobiert. Aus Sperrmüll wurden Einrichtungen für die meist abrissbereiten Häuser gebastelt und die Bewohner übten sich in freier Liebe, Kunst und Drogen.
Das erste besetzte Haus,
war das alte Diakonissen-Krankenhaus Bethanien. Nachdem eine Stadtteilgruppe gegen den Abriss des alten Krankenhauses agitiert hatte, besetzten einige junge Leute aus einem selbstverwalteten Jugendzentrum gegenüber dem Bethanien dort am 3. Juli 1971 einige Räume eines Fabrikgebäudes. Die Polizei war vor Ort und hatte eine Auseinandersetzung mit den Jugendlichen, die am Ende die Oberhand behielten. Der Rundfunk und die Presse waren vor Ort. Ton Steine Scherben, hatten dazu ein Song aufgenommen.
Aus dieser Stimmung heraus, entstand der Plan einen Teil des Krankenhauses als Wohnraum und Jugendzentrum zu besetzen. Am 8. Dezember 1971 hatten die Scherben einen Auftritt in der alten TU-Mensa. Nach deren Auftritt, zogen Hunderte nach Kreuzberg, um das alte Krankenhaus in ihren Besitz nahmen. Die Polizei hatte zu der Zeit noch andere Sorgen, als sich auf die Hausbesetzer einzulassen. Georg Rauch, ein linker Aktivist wurde erst kurz vorher durch einen Polizisten erschossen. Die Jugendlichen nannten „ihr Haus“ nach dem Erschossenen Rauch-Haus.
Die Scherben waren immer wieder dabei, als die Jugendlichen gegen die Fahrpreiserhöhung der Öffis demonstrierten, bei politischen Kampagnen und Protesten. Am 1. Mai 1972 fand dann auch das erste Fest auf dem Mariannenplatz statt. (Das seitdem jedes Jahr stattfand. Nur in diesem Jahr, aufgrund des Corona ausfallen musste.)
Nach der Besetzung des Bethanien, nahmen sich viele Städte (400) in Westdeutschland ein Beispiel. Und in Berlin wurden immer mehr Gebäude als Jugendzentren in Beschlag genommen. Immer wieder dabei Ton, Steine, Scherben.
Die Berliner wachen langsam auf
Die Berliner bekommen immer öfter mit, was in ihrer Stadt städtebaulich los ist. Sie fingen an zu protestieren und sich zu organisieren. Aufgrund des Denkmalschutzjahr 1975, bemerkte auch der Senat, dass sie auf dem falschen Weg waren. Einiges ließ sich nicht mehr aufhalten, anderes wurde überdacht. Die Altbauten wurde entkernt und modernisiert. Damit stiegen natürlich auch die Mieten und wurden für die ausländische Bevölkerung und die Künstler nicht mehr bezahlbar. Sie wurden immer mehr in die unsanierten Häuser ins SO 36 verdrängt. Und dabei ging die Kreuzberger Mischung immer mehr verloren!
Im SO 36 entstand eine Subkultur, die neue Lebensformen erprobte. Wohngemeinschaften, politische Initiativen, Kollektivbetriebe, Frauengruppen, Kinderläden,… Alles Gruppen, die an die Gemeinschaft der Bewohner gekoppelt sind und für das Gemeinwohl stehen. Einige Häuser, die besetzt wurden, werden von der Polizei unter großem Protest „geräumt“ und sofort abgerissen. 1978 eröffnet der erste Mieterladen in der Dresdener Straße 12, ein Sprachrohr der Mieter/innen in den Sanierungsgebieten. Sie demonstrieren gegen den Verfall und fordern die Erhaltung! Der krasse Leerstand, stand im Widerspruch zu den Wohnungssuchenden und wurde der Auslöser der Hausbesetzerszene.
Die Schlachten beginnen
Am 3. Februar 1979 gegangen die Bewohner erstmal mit lautstarken Protesten, gegen Abriss und Wohnungsnot. Sie organisierten in leerstehenden Wohnungen „Instandbesetzungen“ Die BEWOGE, als Besitzerin, bot den Hausbesetzern tatsächlich reguläre Mietverträge an. Es wurde ein Besetzerrat K36 erstellt. Ein Zusammenschluss von mehreren Instandbesetzern, die sich bis März 1980 angesammelt hatten. Sie standen vor einer Verhandlungslösung (legale Mietverträge, oder Kauf) für 14 besetzte Häuser. Aber am 12. Dezember 1980 wurde ein besetztes Haus am Fraenkelufer geräumt, das veränderte alles. Es kam zu schweren Straßenschlachten zwischen den Instandbesetzern und der Polizei. Rund um das Kottbusser Tor flogen Steine, es kam zu Plünderungen und Festnahmen. Die Besetzerszene brach die Verhandlungen ab, solange die Festgenommenen nicht wieder freigelassen würden.
Die Alternative Szene entwickelt sich
Im Frühjahr 1981 bekommen die Hausbesetzer Aufschwung. Immer mehr Häuser werden Instandbesetzt. Durch den Garski-Bauskandal verliert der Senat immer mehr Bodenhaftung in der Stadt und die Alternativen träumen immer mehr von einer Freien Republik Kreuzberg. Es entsteht das Frauenstadtteilzentrum am Mariannenplatz, Kulturzentrum KuKuck, ein Kinderbauernhof, das Gesundheitszentrum Heilehaus und weiter Projekte.
Die Polizei räumte nur noch die Häuser, wenn die Eigentümer darauf pochten. Doch die Hausbesetzerszene wuchs immer weiter. 169 besetzte Häuser gab es in der Stadt, davon 80 in Kreuzberg. Selbst der Sohn des Polizeipräsidenten Hübner, war einer der Besetzer. Die Politik schien es ein ums andere Mal zu unterstützen, um es dann wieder abzulehnen. Die Hausbesetzer stachelten sich gegenseitig auf und die Presse trug ihren Teil dazu bei. Wieder wurden 8 Häuser geräumt, wobei es zu Ausschreitungen kam, bei denen der junge Demonstrant Klaus-Jürgen Rattay von einem BVG Bus überrollt wurde.
Danach spaltete sich die Besetzerszene und viele Instandbesetzungen wurden legalisiert. Doch immer wieder kam es zu Räumungen und Krawallen. All der Krach und Ärger hat dazu geführt, dass mehr auf die Bedürfnisse der Bewohner eingegangen wurde. Sie wurden immer mehr in den städtebaulichen Planungen berücksichtigt. Die Bürger beteiligten sich intensiv und doch blieb es über die Jahre soziale Benachteiligungen.
Dabei war der 1. Mai ein „Demonstrationstag“, der oft mit Krawallen endete. 1987 hatten die Ausschreitungen ihren Höhepunkt. Es kam zu Plünderungen und Bränden. Die Polizei war anfangs mit 250 Mann vor Ort. Später standen 900 Mann gegen die Randalierer.
Heute!
Am Ende trennten sich die Autonomen von der Hausbesetzerszene. Was nicht heißt, dass die Besetzungen aufhörten. Im Gegenteil, sie waren recht erfolgreich es auszusitzen, damit die Häuser nicht verrotten.
Jedes Jahr aufs Neue versammeln sich die Menschen am Mariannenplatz, um für mehr Gerechtigkeit am Tag der Arbeit zu demonstrieren. Aber auch, um in den Mai zu tanzen. Und nicht immer endet das Fest mit Krawallen. Oder doch ein bisschen. Nur dieses Jahr blieb es verhältnismäßig still, in den Zeiten um Corona.
Diesen 12tel Blick verlinke ich wieder gerne bei Eva, auf ihrem Blog Verfuchst und Zugenäht
Hach, ich leibe deine Berlin-Geschichtsstunden! Man musste als Berliner nciht zur Bundeswehr… das wusste ich nicht!
Da kommen auch bei mir Bilder hoch aus meiner Schul- und Studentenzeit. Eine ähnliche Szene gab es doch auch in meiner Heimatstadt. Danke für den spannenden Ausflug in die Geschichte, die in der Gegenwart mündet.
Auf deinen 12tel-Blicken ist das Grün kräftiger geworden. Vorbei ist auch in der Stadt schon das zarte Frühlingsgrün.
Liebe Grüße
Andrea
Ja, ich erinnere mich an die Szenen… Hausbesetzer und auch an das zerbombte München meiner Kindheit. Es schadet nicht, ab und an im Gedächtnis zu blättern.
Sehr interessant zu lesen und sehr informativ.
Bleib gesund.
Sonnige Grüße aus Augsburg von Heidrun
Eine nette kleine Geschichtsstunde, aus der Ferne miterlebt. Der Herr K. hatte zu diesem Zeitpunkt Berlin ja schon verlassen, gekommen war er zur Zeit des Mauerbaues.
Kreuzberg ist mir zwar ein Begriff, aber. ich verbinde in meinen Erinnerungen nichts mit diesem Kiez, schon komisch.
Hier in Köln ging es mit den Hausbesetzungen gleichzeitig los, da war ich noch Kunststudentin in der Stadt. Was hat sich doch alles geändert! Zum Glück geht es ja bei uns bei solchen Aktionen inzwischen. friedlicher zu ( wenn ich da an die USA denke ).
Einen schönen Feiertag wünscht dir
Astrid
Oh ja. Auch wenn Steine flogen (und manchmal noch fliegen) so ist es hierzulande doch nicht so brutal
Mit dieser Geschichte bin ich ja aufgewachsen und da meine Eltern vor Ort den neuen viereckigen, hässlichen Prachtbauten auch nichts abgewinnen könnten, ich mit ihnen auch Nachrichten schauten, waren wir eher pro Hausbesetzung. Ungewöhnlich auf dem konservativen Land. Aber wer diese hässlichen Ergebnisse überall in Deutschland aus dieser Zeit ansieht, der könnte und kann doch nur Sympathie empfinden, wenn jemand eher erhalten will. Und dieses Multikulti war und ist einfach super und immer noch erstrebenswert! Danke wieder für Deine wunderbare Geschichtsstunde.
Schönen Pfingstmontag und liebe Grüße
Nina