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Das Bayerische Viertel {12tel Blick 2022 März}

14.04.2022 | 12tel Blick 2022, Berlin/Umland

Mitten in Schöneberg, nicht weit vom Rathaus entfernt, liegt das Bayerische Viertel. Es wurde von der Berlinische Boden-Gesellschaft und einem ihrer Mitbegründer, dem jüdischen Unternehmer Solomon Haberland und seinem Sohn Georg errichtet. Die schönen großzügigen Häuser und Wohnungen sollten vor allem ein reicheres Publikum nach Schöneberg locken, um die Staatskassen des bis dahin noch freien Schönebergs wieder aufzufüllen.

Das Viertel wurde zwischen 1900 und 1914 für ein bürgerliches Publikum erbaut. Und nicht wenige bekannte Persönlichkeiten haben hier, ihren Alltag „gefristet“. Bis zu 250 m² großen Wohnungen. 12 Zimmer, Fahrstuhl, Kamin, warmes Wasser aus der Wand, Gästetoiletten in den Wohnungen und nicht auf halber Treppe. Wer wäre da nicht gerne eingezogen. Die Häuser wurden mit schicken Fassaden errichtet und die Dächern schmückten einige kleine Türmchen. Die Wohnungen hatten zum Teil einen Empfangsraum und vor dem Haus hübsche Vorgärten. Es gab viele Grünflächen zwischen den Häusern und ein eigener U-Bahnhof, der Bayerische Platz, war das Zentrum.

Es gab nur wenige Hauptverkehrsstraßen, dafür aber viele Nebenstraßen in denen sich ein ruhiges Leben abgespielt hatte. Die Straßennamen wurden nach Städten und Gemeinden in Bayern benannt. (Einige dieser Städte liegen heute in Österreich oder Südtirol) Die Schönheit der Gebäude war den Investoren ein großes Anliegen, dachte man doch, dass sich in dem nächsten Jahrhundert nichts ändern würde. An zwei Weltkriege dachte da noch keiner.

Die Bewohner im Bayerischen Viertel

Die großen und modernen Wohnungen zogen vor allem Gutbürgerliche an. Die Liste der bekannten Namen ist lang. Unter anderem wohnte hier auch Albert Einstein, bis er emigriert ist. Auch Erich Kästner hatte hier eine Wohnung. So konnte er sehr gut beschreiben, wie sein Emil (und die Detektive) den Dieb bis zum Nollendorfplatz verfolgten. Auch andere Intellektuelle fanden hier eine Bleibe. Der Weg zum Romanischen Café am Tauentzien an der Kaiser-Wilhelm (Gedächtniskirche) war zu Fuß zu erreichen. Und die Schauspieler konnten in wenigen Minuten die Theater am Nollendorfplatz erreichen.

Die Fotografin Gisèle Freud, den Philosophen Walter Benjamin, Schriftsteller wie Egon Erwin Kirsch, Kurt Tucholsky, Nelly Sachs und Gottfried Benn, Wissenschaftler wie Albert Einstein, Erich Fromm, George Mosse und die Sozialwissenschaftlerin Alice Salomon. Dabei dürfen auch die unbekannteren Menschen wie Benedict Lachmann, der mit seinem Buchladen bei den Anwohnern sehr geschätzt war, oder Meta Alexander, die ihr gesamtes Leben in Bayerischen Viertel verbracht hat, nicht vergessen werden.

Aber auch Ärzte und Wissenschaftler fanden hier eine Bleibe. Die zentral gelegene U-Bahn-Linie 4 verband die Menschen mit Berlin. Jeder U-Bahn-Eingang lag unter einem hübsch gestalteten Platz. Leider wurde der Bayerische Platz kurz vor Kriegsende doch noch von einer Bombe getroffen. Nur noch ein Eingang erinnert daran, dass dort sogar die Wände in Blau-Weiß gestrichen waren.

Heute im Bayerischen Viertel

Das einstige besondere Viertel ist nur noch gering vorhanden. Bomben haben über die Hälfte der schönen Bauten dem Erdboden gleich gemacht. Und doch sieht man immer wieder zwischen den Nachkriegsbauten die alte Schönheit aufblitzen. Wer durch das Viertel spaziert, entdeckt irgendwann an den Laternen seltsame Schilder. Auf der einen Seite sieht man einen Gegenstand und auf der anderen eine Verordnung gegen die Juden in der NS-Zeit. Es ist ein außergewöhnliches Denkmal. Orte des Erinnerns nennt es sich. Ich habe diese Schilder schon oft gesehen und immer wieder gelesen wie grausam das Regime damals gegen die Menschen des jüdischen Glaubens vorgegangen sind. In dem Bayerischen Viertel war die Zahl der Jüdischen Menschen sehr hoch. So findet man in diesem Teil Schönebergs sehr viele Stolpersteine.
Es gibt 80 solcher Tafeln an den Laternen. Orte an die man sich erinnern soll! Man kann sich auch einer Führung durch das Bayerische Viertel anschließen, oder sich alleine auf Entdeckungsreise begeben. Denn an fast jeder Ecke hat einmal jemand gewohnt den man kannte (s.o.) Viele haben Deutschland frühzeitig verlassen. Aber viel zu viele, viel zu spät.

Meine Schwester wohnt am Rand des Viertels. In einem Altbau, der deutlich macht, wie herrschaftlich die Wohnungen damals gewesen sein müssen. Die übergroßen Wohnungen sind längst in 2 bis 3 kleinere unterteilt worden. Aber die Ein- und Aufgänge zeugen noch heute von der Eleganz, die man sich damals erwünscht hat.

Der 12tel Blick im März in Schöneberg

mein 12tel Blick ist wieder einmal ziemlich spät dran. Mein Plan die Berichte vorzuschreiben, ist nicht aufgegangen. Ich arbeite dran. Das Wetter war jetzt nicht so super. Der Himmel grau und es war kalt. Aber es ist eben auch noch März. Die Bäumen stehen aber schon in den Startlöchern. Die Blattknospen sind schon prall.

Ich denke die April-Bilder werden bestimmt viel grüner sein. Vielleicht erwische ich auch mal den Markt vor dem Rathaus. Der ist sehr groß. Wahrscheinlich habe ich dann auch die Satteltaschen mit Einkäufen voll. Allerdings hat dieser Markt nichts Gemütliches. Aber dazu mehr, wenn ich ihn auch erwischt habe.

Den 12tel-Blick 2022 Schöneberg verlinke ich mal wieder bei Verfuchst und zugenäht
Dort findest du noch mehr Blicke.

 

 

6 Kommentare

  1. Regula

    Sehr interessant. Geschichte schlägt sich natürlich auch in der Architektur nieder.

    Liebe Grüsse von Regula

    Antworten
  2. Sunni

    Ich finde die Beiträge sehr interessant, da meine Tochter in Berlin wohnt, erst Mitte, unweit Friedrichstraße, und jetzt am Kleinen Wannsee. Da lese ich die Beschreibungen gern und kann dann gelegentlich mit „Wissen“ glänzen. Schöne Ostertage mit Stricken, Ausruhen und Frühlingsluft, wenn irgend möglich. Sunni

    Antworten
  3. Claudia

    Hallo Andrea,
    es macht mir große Freude, deinen Geschichten über Schöneberg zu folgen. Wieder sehr spannend und interessant, vielen Dank. Ich bin schon auf den April gespannt. Ein frohes Osterfest wünsche dir, vielleicht kannst du ein paar freie Tage genießen.
    Liebe Grüße,
    Claudia

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  4. Rosa Henne

    Liebe Andrea,
    da war ich noch später dran ;-). Ich möchte mir keinen Stress machen… Irgendwie bin ich scheinbar überall die Letzte.
    Du hast wieder seeehr interessant geschrieben! Ein klasse Beitrag und ich finde so alte Wohnungen und Häuser, ja sogar Viertel mit Geschichte und soviel Flair durch die damaligen Bewohner richtig toll. Schrecklich ist natürlich, wie man die Juden behandelt hat. Ich kann mich immer nur wundern, wie bestialisch die Menschen sein können, was man jetzt auch im Krieg gegen die Ukraine wieder sieht. Wie können Menschen so grausam sein. Mich bewegt die Geschichte der Juden immer wieder sehr.
    Schade finde ich, dass über die Hälfte des Viertels durch Bomben zerstört wurden.
    Andererseits wieder gut, dass die andere Hälfte noch steht. Das Glas halb voll oder halb leer ist. Ja, schön, dass man diesen Hauch von damals dort bestimmt noch spürt.
    Danke dir herzlich für deine Mühe!
    Liebe Grüße und ein frohes Osterfest!
    Ingrid

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  5. Andrea/ die Zitronenfalterin

    Das Warten hat sich gelohnt. Danke für die wieder so interessante und spannende Fortsetzung über die Geschichte Schönebergs. Die Erinnerungsschilder finde ich sehr wichtig. Mal sehen, wie beim nächsten Mal der Frühling in Berlin-Schöneberg aussieht.
    Liebe Grüße
    Andrea

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  6. Astridka

    Macht doch alles nichts, auch heute war das spannend zu lesen. Ich schreib ja oft über Berlinerinnen, da kommen solche Häuser & Viertel vor und ich staune immer wieder.
    Dir hoffentlich morgen einen freien Tag!
    Herzlich
    Astrid

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